Interview mit Enrico Heinke zur Zukunft im ländlichen Raum

Im Rahmen einer geplanten Verfassungsänderung beschäftigt sich der Thüringer Landtag gerade damit, ob und in welcher Form das Thema Ehrenamtsförderung als Staatsziel eingeführt werden soll. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag des MDR, sieht eine Mehrheit der Thüringer kritisch, dass immer mehr staatliche Aufgaben auf das Ehrenamt übertragen werden. Im Kontext der Liga-Verbände hat auch die AWO Thüringen eine gemeinsame Stellungnahme zum Ehrenamt als Staatsziel eingebracht.

Enrico Heinke ist langjähriger Geschäftsführer des AWO Kreisverbandes Greiz im Osten Thüringens. Die Region gilt als strukturschwach und ist stark vom demografischen Wandel geprägt. Wir haben ihn deshalb zu seinem Blick auf ehrenamtliches Engagement in ländlichen Räumen befragt. 

Zahlreiche Studien und Berichte attestierten ländlichen Räumen bundesweit, aber eben auch in Nord-, Süd und Ostthüringen, abgehängt zu sein. Zuletzt wurde der Thüringer Sozialstrukturatlas veröffentlicht, der ebenfalls Alarmsignale in Sachen Demographie, Wirtschaft und Fachkräfte schlägt. Wie stellt sich die Situation aus Ihrer Perspektive vor Ort dar?

Enrico Heinke: Die Prognosen und Zahlen bereiten uns schon Sorgen. Wenn wir davon ausgehen, dass wir in einigen Jahren mehr Menschen in Rente als im arbeitsfähigen Alter haben, trifft das natürlich unsere Bereiche Pflege und Kita. Den Fachkräftemangel spüren wir. Wenn sich die Situation weiter verstärkt, ist das sehr problematisch. Was macht das mit einer Region? Wer versorgt die Menschen? Wer besorgt morgen die Pflege oder steht im Verkauf? Und wie bekommen wir die Kurve? Diese Fragen beschäftigen uns.

Zuletzt kündigte der Bund das Förderprogramm „Unser Plan für Deutschland“ für den ländlichen Raum an. Wie wären die Mittel sinnvoll eingesetzt?

Enrico Heinke: In Gänze ist mir noch kein Konzept bekannt, mit dem man die Kurve bekommen kann. Fakt ist, dass wir eine bessere Finanzierung der Kommunen brauchen. Die Infrastrukturen müssen ausfinanziert sein. Und es braucht die sogenannten „Dorfkümmerer“ vor Ort. Wichtig ist vor allem, dass wir zentrale Einrichtungen des Gemeinwesens erhalten können. Geld darf beispielsweise bei Bibliotheken oder dem Schwimmbad keine Rolle spielen. Aus eigener Trägerschaftserfahrung einer Bibliothek kennen wir den Mehrwert für Schule, Familien sowie Seniorinnen und Senioren. Davon profitieren alle. Hier kommt Gemeinschaft zum Tragen.

Die bisherigen Antworten und Programme der Politik setzen ja oft auf verstärktes Ehrenamt. Wie muss man das bewerten?

Enrico Heinke: Alles auf das Ehrenamt zu drücken, ist die falsche Herangehensweise. Der Staat darf nicht aus der Verantwortung entlassen werden. Wenn – wie bei uns in Schmölln – das Schwimmbad durch einen Förderverein getragen wird, stehen dahinter Menschen in Verantwortung, die auch sonst schon sehr aktiv sind. Eine wesentliche Frage ist, wie wir mehr junge Menschen in Verantwortung und Ehrenamt bekommen, ohne dabei den Lückenfüller der staatlichen Daseinsvorsorge zu spielen. Als Träger stehen wir bei fairer Kostenverteilung mit unseren Kompetenzen bereit, gewisse Aufgaben zu übernehmen. Richtig ist, dass ohne Ehrenamt auch kein Gemeinwesen funktioniert. Das müssen wir unterstützen.