Wir stehen im AWO Seniorenpflegeheim „Haus zu den vier Jahreszeiten“ in Erfurt und wollen ein Foto mit Farhad Rezazadeh machen. Etwas schüchtern und steif steht er in dem großen Brunnenraum. Einige Bewohnerinnen sitzen in der Nähe und feuern ihn an: „Los Farhad, zeig dein Lächeln, du lachst doch sonst auch immer.“ Seit März arbeitet Farhad Rezazadeh im Seniorenheim als Pflegehilfskraft und er hat jetzt schon einen kleinen Fanclub.
Der 29-jährige Afghane kam 2015 nach Deutschland. Dass er einmal in der Pflege arbeiten würde, ahnte er damals noch nicht.
Keine Anerkennung der Berufserfahrung in Deutschland
Trotz zehnjähriger Berufserfahrung als Maler konnte er hier in seinem Job nicht arbeiten. Wie bei vielen Geflüchteten fehlten ihm Schulzeugnisse, Zertifikate oder andere Bescheinigungen. Auch an eine Weiterbildung als Maler war ohne Deutschsprachkenntnisse auf dem Sprachniveau B2 nicht zu denken.
Als ihm 2018 Freunde von dem Kurs „Wege in die Pflege“ in Erfurt erzählten, sah er seine Chance, endlich auch beruflich in Deutschland Fuß zu fassen. „In der Armee hatte ich schon sechs Monate als Sanitäter gelernt, da konnte ich mir die Arbeit in der Pflege auch gut vorstellen“, erinnert er sich.
IBS qualifiziert Geflüchtete erfolgreich für den Pflegeberuf
Am Institut für Berufsbildung und Sozialmanagement gGmbH in Erfurt werden über den Kurs „Wege in die Pflege“ Geflüchtete über acht Monate zur Betreuungs-, Service- und Pflegehilfskraft ausgebildet. Vom Projektstart 2017 bis heute wurden bereits 92 Teilnehmende qualifiziert. Seit 2018 wird das Projekt vom „Landesprogramm Arbeit für Thüringen“ gefördert. Der nächste Kurs startet am 25. Januar 2021.
Farhad Rezazadeh hat der Kurs direkt gefallen, nur die Theorie war ein wenig herausfordernd. „Die ganzen Fachbegriffe in einer fremden Sprache auswendig lernen – das war schon schwierig. Aber ich wollte das ja, also habe ich mich hingesetzt und nach etwa einem Monat ging es schon besser“, sagt er.
Farhad Rezazadeh kommt sofort gut an
Zur Qualifizierung gehört abschließend auch ein 24-tägiges Praktikum zum WiP-Kurs und so kam Farhad im November 2019 in das Seniorenpflegeheim „Haus zu den vier Jahreszeiten“ in Erfurt. „Die Kollegen waren alle sehr zufrieden mit ihm. Durch seine fleißige und höfliche Art hat er sich auch gut im Team eingefunden“, sagt Einrichtungsleiterin Suse Scherf. „Auch mit den Bewohnern gab es keine Probleme. Wir sind ein Haus mit vielen Nationalitäten, das betrifft sowohl unsere festen Mitarbeiterinnen als auch die Praktikanten. Wir versuchen in jedem Wohnbereich immer einem Praktikanten die Chance zu geben, hier seine Erfahrungen zu machen.“
Mitarbeiter*innen aus anderen Kulturen als absolute Bereicherung
Für Suse Scherf ist es auch sehr bereichernd zu erfahren, wie Altenpflege in anderen Ländern und Kulturen funktioniert. „Wir nehmen oft und gern Praktikanten aus Projekten wie „Wege in die Pflege“. Für viele ist es natürlich schade, dass sie hier nicht in ihrem eigentlichen Beruf arbeiten können, weil Zeugnisse fehlen oder die Abschlüsse in Deutschland nicht anerkannt werden. Einer unserer Mitarbeiter war zum Beispiel Apotheker, eine andere Kollegin hatte in ihrem Heimatland BWL studiert.“
Die Arbeit in der Pflege sei aber nicht für jeden geeignet, betont Scherf, das könne man aber nur herausfinden, wenn man den Menschen eine Chance gibt. Daher nimmt man sich im „Haus zu den vier Jahreszeiten“ auch viel Zeit für Vorstellungsgespräche, Einarbeitung und Betreuung.
Wer hier Prakrikum macht, möchte wiederkommen
Das wissen viele der Praktikanten auch zu schätzen. „Ich habe den Eindruck, dass sich fast jeder Praktikant bei uns auch im Nachgang beworben hat“, weiß Nare Tatoian, Assistentin der Einrichtungsleitung. Voraussetzung ist natürlich immer, dass es auch eine freie Stelle gibt, die besetzt werden kann.
Für Farhad Rezazadeh hat sich dieser Wunsch erfüllt, wenn auch mit einiger Verzögerung. „Ich habe so viele Bewerbungen verschickt, aber nur Absagen erhalten. Viele suchen eben Pflegefachkräfte, keine Hilfskräfte“, so Farhad Rezazadeh. Als Suse Scherf die Leitung im Dezember 2019 übernommen hatte, versuchte Farhad sein Glück im Januar erneut im „Haus zu den vier Jahreszeiten“, aber auch da gab es noch keine Stelle für ihn. „Im März 2020 hatten wir dann endlich eine freie Stelle und haben Farhad angerufen“, so Nare Tatoian.
Der ersehnte Anruf kommt!
„Ich habe mich so gefreut, die Festanstellung hier zu bekommen. Die Arbeit mit den Kollegen macht sehr viel Spaß. Alle sind respektvoll miteinander und wir helfen uns immer gegenseitig. Es geht dann nicht darum, wer die Aufgabe machen müsste, sondern wenn man Zeit hat, hilft man dort aus, wo jemand gebraucht wird“, sagt Farhad Rezazadeh. „Wir sind unseren Teams unglaublich dankbar, dass sie sich mit uns diesen Aufgaben stellen und sich so viel Mühe geben. Die Herzlichkeit merkt man besonders in den Pausen. Es wird sehr viel gelacht und auch neue Praktikanten sitzen dabei, als ob sie schon immer dazugehört haben“, so Suse Scherf.
Aus Erfahrung weiß die Einrichtungsleitung, dass der Anfang immer etwas schwer ist, besonders was die Sprachfertigkeiten angeht. „Aber alle sind hier engagiert, dass sich die Menschen gut integrieren und eine gute Ausbildung erhalten. Und das Deutsch lernen geht in der Praxis sowieso viel schneller als in der Schule. Innerhalb weniger Wochen kann sich da schon viel verändern“, so Nare Tatoian. Diese schnelle Weiterentwicklung wird auch vom gesamten Kollegium im „Haus zu den vier Jahreszeiten“ stetig unterstützt – das reicht von der kollegialen Hilfe beim Ausfüllen von Behördenformularen helfen bis zum Beantragen einer Fachnachhilfe für junge Azubis.
Nächster Schritt: Am besten Fachkraftausbildung
Auch Farhad Rezazadeh hat schon einen Plan, wie er seine beruflichen Ziele erreichen kann: „Eigentlich möchte ich gerne noch die Ausbildung zur Pflegefachkraft machen“, so Farhad Rezazadeh. „Vorher muss ich aber noch besser Deutsch lernen und einen Schulabschluss machen. Deutsch lerne ich jetzt schon weiter mit YouTube und mit den Kollegen, der Rest kommt später. Erst einmal will ich hier auf Arbeit zeigen, was ich kann, damit alle sehen, dass ich auch eine gute Chance habe, die Ausbildung zu schaffen“.
Wir wünschen Farhad Rezazadeh viel Erfolg auf diesem Weg.