455 zweite Chancen

30 Jahre AWO AJS gGmbH – 30 Jahre AWO „Haus Neubeginn“ in Erfurt

Heute vor 30 Jahren – am 16. Februar 1993 – zog der allererste Klient ins AWO „Haus Neubeginn“ in Erfurt ein. Damals befand sich die Einrichtung noch in der Hans-Sailer-Straße und richtete sich ausschließlich an frisch aus der Haft entlassene Männer. Später hat sich das Angebot erweitert. Bis zu elf Männer in schwierigen sozialen Situationen leben in der Männerwohngemeinschaft, die sich heute in der Erfurter Josef-Ries-Straße befindet. Neben ehemaligen Häftlingen können das aber auch männliche Personen sein, die neben ihren besonderen sozialen Schwierigkeiten auch psychische Probleme haben.

„Haftentlassene Klienten machen aber immer noch den Großteil unserer Bewohner aus“, erklärt Alexander Schaar. Seit September 1997 leitet er die Einrichtung, die heute Teil des AWO Jugend- und Sozialhilfeverbundes Erfurt ist. Aktuell besteht das Team aus ihm und seinem Kollegen Lucas Hoffmann. Nach langer Suche ist nun auch ein passender, künftiger Mitarbeiter gefunden worden. „Es ist jedes Mal schwer, geeignete Bewerber zu finden“, berichtet er, da sie für diese Tätigkeit ganz besondere Kriterien erfüllen müssen.

Deutschlandweit vernetzt

Anfragen für einen Platz im „Haus Neubeginn“ gibt es aus Justizvollzugsanstalten in ganz Deutschland. Es gibt nicht viele Einrichtungen dieser Art – und erst recht nicht viele, die so gut vernetzt sind und so einen guten Ruf haben. Alexander Schaar prüft die Anträge von potenziellen Neueinzügen genau, ehe er das Go gibt. Manchmal muss er eine Maßnahme auch vor dem normalen Auszug aus dem „Haus Neubeginn“ beenden – also jemanden vorzeitig entlassen. Etwa, wenn derjenige wegen seines gewalttätigen Verhaltens eine Gefahr für die anderen Bewohner und das Team ist.

Den normalen Alltag (neu) erlernen

Maßnahme – was heißt das in diesem Fall überhaupt? Die Männer lernen hier in erster Linie, ein geregeltes Leben zu führen. Das beginnt bei einem strukturierten Tagesablauf und reicht bis zum pünktlichen Einhalten von Terminen. „Das bedeutet zum Beispiel auch: die eigene Post öffnen, lesen und mit dem Inhalt vertraut machen“, so Schaar. Im besten Fall haben die Klienten, wenn sie ausziehen, eine abgeschlossene Ausbildung oder einen festen Job. Oft leben sie aber länger in der Einrichtung als geplant. „Wir finden für sie oft einfach keine Wohnung, die Vorbehalte der Vermieter sind groß.“

Und auch, wenn ein gewisses Gefahrenpotenzial immer da ist: Alexander Schaar liebt seinen Job. „Dass der Alltag nicht planbar und jeder Tag anders ist, das ist auch das Interessante daran.“ Eine Herausforderung also, auch im positiven Sinne. Und natürlich gibt es tolle Erfolgsgeschichten.

455 Klienten in 30 Jahren

455 Männer haben das „Haus Neubeginn“ seit 1993 durchlaufen. Manche haben nur 12 bis 18 Monate hier gelebt, andere bis zu vier Jahre. Manche sind gerade mal volljährig, andere im Seniorenalter. Manche sind später ein zweites Mal hier gelandet. Was sie fast alle gemeinsam haben, sind eine oft von Drogen, Alkohol und zum Teil auch Gewalt geprägte Vergangenheit.

Wie die meisten AJS-Einrichtungen stieß das „Haus Neubeginn“ nach dem AJS-Gründungsjahr 1993 zum Unternehmen dazu. Vorher war es in Trägerschaft des AWO Kreisverbandes Erfurt. In den letzten 30 Jahren stand die Einrichtung mehrmals vor dem Aus, weil sie sich nicht refinanzierte. Diese Gefahr besteht nicht mehr, das Haus schreibt schwarze Zahlen.

„Wie heißt es so schön? – AWO, das ganze Leben“, sagt Alexander Schaar. „Auch wir sind eine Facette davon.“

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