„Der Druck auf Familien wird größer werden“

Die Familienberatungsstellen der AWO Thüringen sind noch zuversichtlich in der Krise

Kontaktregelungen und Selbst-Isolation führen in ganz Deutschland die Menschen in ihre Kernfamilien zurück. Was für die einen Familienidyll mit Spiele- und Filmabenden bedeutet, stellt andere Familien vor neue Herausforderung.

Die Familienberatungsstellen der Thüringer AWO haben ihre Beratungen auf das Telefon verlagert. Die Telefonberatung ist sowohl für die Beraterinnen als auch für die Klienten eine Besonderheit. Sie unterscheidet sich von einem persönlichen Termin vor allem durch den Wegfall der visuellen Kanäle. Das muss aber nicht per se ein Nachteil sein: Für manche Menschen ist es sogar leichter, sich am Telefon emotionalen oder gar schambesetzten Themen zu öffnen.

Hausaufgaben in der Paarberatung

Einige Angebote können erst nach der Kontaktsperre wieder stattfinden wie beispielsweise die Paarberatung oder die Leistungsdiagnostik für Kinder. „Unseren Klienten aus der Trennungs- und Scheidungsberatung geben wir momentan ab und zu telefonisch eine Hausaufgabe auf, die sie zur Folgewoche erledigen sollen“, sagt Beate Barth, Leiterin der AWO Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern in Eisenach. Präventive Gruppenangebote wie Elternabende in Kindergärten mussten abgesagt werden.

Während die Ehe-, Erziehungs-, Familien- und Lebensberatungsstelle in Rudolstadt zusätzliche Räume im dortigen Landratsamt angemietet hat, wurden in der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche in Jena auch Spättermine eingeführt, für Familien, die ihre Kinder beispielsweise erst ins Bett bringen, bevor sie Zeit haben zu telefonieren.

Aktiv anrufen, ob alles in Ordnung ist

„Das Jugendamt in Jena hat ebenfalls eine Hotline für Menschen mit Beratungsbedarf aufgestellt, da ergänzen wir uns jetzt sehr gut“, sagt Sigrid Rabending, Leiterin der Familienberatung Jena. In Rudolstadt werden die Klienten auch aktiv angerufen. „Bei Familien von denen wir wissen, dass es da durch viele Kinder auch mal chaotisch wird, rufen wir regelmäßig an, um zu hören, ob alles noch in Ordnung ist“, berichtet Dr. Ellen Mund, Leiterin der Beratungsstelle in Rudolstadt. „Die Klienten freuen sich und sind dankbar, dass wir da sind. Da war die Angst schon groß, dass das Beratungsangebot ausfällt“.

Auch in Eisenach haben viele Telefonate diesen Update-Charakter. „Manchmal haben wir in der Beratungsstelle das Gefühl, die Menschen rufen an, um zu überprüfen, ob wir noch da sind“, berichtet Beate Barth, Leiterin der Beratungsstelle Eisenach, schmunzelnd. „Die Familien schaffen das zur Zeit alles noch ganz gut alleine, aber sie brauchen die Sicherheit, dass jemand da ist, falls sie Unterstützung brauchen.“

An den Problemlagen innerhalb der Familien hat sich in den vergangenen drei Wochen seit Corona wenig verändert. Die Erziehungsfragen seien schärfer geworden, sagt Sigrid Rabending, wenn Kinder Probleme mit der Impulskontrolle hätten, fällt den Eltern das natürlich stärker auf, wenn sie ihren Nachwuchs den ganzen Tag um sich haben.

Passen Kontaktverbote und Wechselmodell zusammen?

In Rudolstadt beobachtet Dr. Ellen Mund vor allem mehr Probleme bei getrennten Paaren mit Kindern. „Die Umgangsregelungen und das Wechselmodell können natürlich nur unter besonderen gesundheitlichen Voraussetzungen, wie gewohnt, weitergeführt werden. Wenn das nicht möglich ist, werden dem ehemaligen Partner zuerst Vorwürfe gemacht, auch wenn dieser vielleicht gar keine Schuld trägt“, so Mund weiter. Aber sie weiß auch Positives zu berichten: „In manchen Fällen hat sich auch gezeigt, wenn es darauf ankommt, finden die Familien auch wieder zueinander.“

Auch wenn die Thüringer Verordnungen sich in den nächsten Wochen nicht lockern sollten, sieht Dr. Ellen Mund noch keine Gefahr, dass die Stimmung kippen könnte. „Die Beziehungen werden vielleicht stärker belastet, aber noch haben wir nicht den Eindruck, dass den Leuten die Decke auf den Kopf fällt.“

Finanzielle Sorgen könnten Konflikte steigern

In Bad Salzungen wird befürchtet, dass die Belastungen von Familien durch die aktuell gegebenen Einschränkungen im Alltagsleben sowie durch Sorgen um die wirtschaftliche Zukunft der Familie und der Gesellschaft noch verstärkt werden.

Auch in Eisenach geht die Leiterin von einem wachsenden Beratungsbedarf in den nächsten Wochen aus. „Der Druck wird größer werden und wir hoffen, dass dann auch alle den Weg zu uns finden“, sagt Leiterin Beate Barth. „Wir müssen untereinander wachsam sein - nicht nur in unseren Familien, sondern auch darauf, was vielleicht in den benachbarten vier Wänden geschieht.“


Edit: Die Beratungsstellen dürfen ab Montag, 27. April 2020, mit Auflagen hinsichtlich Abstand und Hygiene wieder regulär öffnen.

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