Man feiert Geburtstage und Weihnachten zusammen, fährt in den Urlaub ans Meer, bleibt während des Lockdowns gemeinsam zu Hause und geht sich natürlich auch mal so richtig auf die Nerven – eben ganz wie in einer Familie. „Und das ist es, was unser Haus und die Arbeit ausmacht. Ich stelle es gern unter die große Überschrift ‚like Familie‘“, erklärt Kai Werner, Einrichtungsleiter des AWO-Kinder- und Jugendheims "Haus Schillerstraße" in Erfurt. Genau heute vor fünf Jahren feierte die Einrichtung offiziell Eröffnung. Passend dazu haben wir neben Kai Werner mit fünf weiteren Menschen gesprochen, die von Anfang an dabei waren…
Wie alles begann
Winter 2015/2016. Kai Werner, damals bereits Einrichtungsleiter des AWO-Kinder- und Jugendheims „Am Ringelberg“ Erfurt, kann sich vor Anfragen kaum retten. Sogar das Jugendamt tritt an ihn heran mit der konkreten Bitte, eine weitere Einrichtung ins Leben zu rufen. „Beim AWO-Neujahrsempfang witterte ich meine Chance und trug die Ideen zur Umsetzung im Beisein der Geschäftsführung und aller AWO-Bereichsleiter*innen vor. Und dort war ich glücklicherweise genau an der richtigen Adresse.“
Dann sollte alles ganz schnell gehen. Das Haus in der Schillerstraße wurde hinsichtlich der Eignung für ein Kinder-und Jugendheim besichtigt und anschließend saniert. Schon im Mai war das Gebäude bereit für die ersten Möbel, im August wurden die neuen Mitarbeiter*innen eingestellt – u.a. die Teamleiterinnen Caroline Kanan und Lisa Schmöller sowie die Hauswirtschaftstrainerin Simone Wiegand.
Der gute Spirit
Alle drei begannen zunächst im Kinder- und Jugendheim „Am Ringelberg“. „Neben pragmatischen Gründen wie der Einarbeitung, wollten wir einfach den guten ‚Spirit‘ vom Ringelberg mit in die neue Einrichtung nehmen“, erklärt Werner und ergänzt schmunzelnd: „Ich würde vermessen behaupten, dass uns das gelungen ist.“ Besonders spannend war die Situation für Caroline, die direkt von der Ausbildung kam: „Als ich hörte, dass ich in ein neues Team komme und eine Einrichtung mit aufbauen und gestalten kann, war das für mich das größte Geschenk.“
Tatsächlich haben die Mitarbeiter*innen bereits während ihrer Einarbeitung das Haus Schillerstraße mit eingerichtet und dekoriert. „Das hat wirklich Spaß gemacht“, erinnert sich auch Hauswirtschaftstrainerin Simone. „Mit einem schönen Möbelstück hier und einer selbstgenähten Gardine dort, sah alles direkt wohnlicher aus.“ Und bereits damit verfolgte Einrichtungsleiter Kai Werner ein bestimmtes Ziel: „Ich wollte, dass das Haus zum Projekt der Mitarbeiter*innen wird. Schließlich tue ich mich schwerer, etwas zu verlassen, in das ich mein Herzblut gesteckt habe.“
Herausforderungen und Chancen
Als das Team stand, zog am 27. Oktober das erste und am 21. Dezember das sechzehnte Kind ein – darunter auch vier geflüchtete Kinder. „Das war schon herausfordernd – vor allem, weil die Flüchtlinge am Anfang kaum Deutsch gesprochen haben. Aber am Ende war es für alle Seiten vor allen Dingen eine große Chance“, erklärt Teamleiterin Lisa. „Zum einen konnten die deutschen Kids ihre Vorurteile abbauen und die geflüchteten Kinder zum anderen optimal integriert werden.“
So viele Kinder in so kurzer Zeit aufzunehmen, bedeutete für die Mitarbeiterinnen dennoch Höchstleistung. „Ich bin im Nachhinein immer wieder erstaunt, wie schnell wir uns als Team ‚eingegroovt‘ haben und jeder wusste, wo sein Platz und seine Aufgabe ist“, erzählt Lisa bei dem Gedanken daran, wie aufwendig Neuaufnahmen auch heute noch sind.
„Mal ist alles schön, mal streitet man sich.“
Unter den ersten Kids waren auch Sammy (16) und Sandra (14). Während Sammy das Leben im Heim bereits aus einer anderen Einrichtung kannte, war das Ganze für die damals 9-jährige Sandra noch komplett neu. „Ich bin mit meinen zwei großen Geschwistern hier eingezogen, das hat mir die Eingewöhnung erleichtert“, erklärt sie. „Mittlerweile fühle ich mich sehr wohl – vor allem, weil alle so offen sind und keiner einen verurteilt. Und die Betreuer sind immer für einen da.“
Neben den zwischenmenschlichen Aspekten sieht Sammy auch noch weitere Vorteile: „Ich denke, die bereiten uns hier besser auf das Leben vor, als manche Eltern ihre Kinder – vom Kochen oder Wäsche waschen hin zum Umgang mit Geld.“ Ihre jeweiligen Gruppen sind Sammy und Sandra darüber hinaus sehr ans Herz gewachsen und werden von den beiden mit Geschwistern verglichen: „Mal ist alles schön, mal streitet man sich. Und wenn wer auszieht, ist man auch traurig.“
Like Familie
Das Wort „Familie“ zieht sich wie ein roter Faden durch das Gespräch mit dem Team und den Kids. Auch Hauswirtschaftstrainerin Simone bezeichnet die AWO-Einrichtung als zweites Zuhause. So fährt sie freiwillig mit in den Urlaub – was eine Arbeitszeit von 24/7 bedeutet – oder kommt auch mal sonntags vorbei, wenn ein Kind Geburtstag hat. „Ich lasse mir doch nicht den Kuchen entgehen“, lacht sie. Auch Caro erzählt, wie gern sie z.B. zu Heiligabend arbeitet: „Das macht mir einfach so viel Spaß – vom Schmücken des Weihnachtsbaums, hin zu den leuchtenden Augen der Kinder bei der Bescherung.“
„Und diese kleinen und großen Gesten und Momente zeichnen uns einfach aus“, resümiert Einrichtungsleiter Kai Werner zufrieden. „Ich weiß, dass mein Team mit vollem Einsatz, Herz und Leidenschaft dabei ist und alle füreinander da sind – alles immer zum Wohle der Kinder.“ So ist die Antwort auf die Frage nach den Wünschen für die nächsten Jahre wenig verwunderlich. Denn was wünscht sich eine Familie? „Alles soll gern so bleiben wie es ist. Wir möchten weiterhin so gut zusammenleben und natürlich sollen auch alle gesund bleiben.“
Dann hoffen wir, dass das genau so kommt und danken den Teammitgliedern Kai Werner, Lisa Schmöller, Caroline Kanan und Simone Wiegand sowie den Jugendlichen Sammy und Sandra ganz herzlich für das Gespräch!