Zwischen E-Mail und Messengerdienst

Die Herausforderungen der Corona-Pandemie für freie Schulen

Seit beinahe zwei Monaten zeigt die Pandemie wie eine Lupe auf die Probleme und politischen Versäumnisse unserer Lebenswelten. Neben dem Gesundheitswesen und der Arbeitswelt betrifft dies auch die Digitalisierung der Schulen.

Mit der Schulschließung im März mussten von einem Tag auf den anderen Konzepte und Lösungen entwickelt werden, damit die Schülerinnen und Schüler auf die Klassenziele vorbereitet werden können. „Zu Beginn der Schulschließung haben wir die Aufgaben erst einmal über unsere Homepage zur Verfügung gestellt“, berichtet Andreas Schütte, stellvertretender Schulleiter der Friedrich-Adolf-Richter-Schule der AWO Rudolstadt. Alle Lehrerinnen und Lehrer sind über eine eigene E-Mailadresse ansprechbar und die Klassenleiterinnen telefonieren einmal pro Woche mit den Schülern.

Mailverkehr ist kein Alltag für Kinder und Jugendliche

„Die Kommunikation über Mail fällt vielen Schülern sehr schwer“, konstatiert Andreas Schütte, „das hat sich erst nach Ostern gebessert, als wir einen Messengerdienst eingerichtet haben. Dieser funktioniert ähnlich wie Whatsapp, aber ohne die ganzen datenschutzrechtlichen Probleme, und ist für die Schülerinnen viel intuitiver. Seitdem sind die Schüler auch wieder mehr dabei.“ Über den Messengerdienst können Schüler und Lehrkräfte direkt miteinander in Kontakt treten oder sich in Fachgruppen austauschen.

An der Schlossschule der AWO Saale-Orla-Kreis in Neustadt/Orla werden die Mailverteiler genutzt, die es vor der Pandemie bereits gab. „Vor allem bei jüngeren Schülerinnen muss das natürlich über die Eltern laufen, die älteren Schüler haben eine eigene Mailadresse“, sagt Schulleiter Robert Steinäcker.

Mehrbelastung für die Pädagoginnen und Pädagogen

Jede Lehrerin erstellt Aufgabenpakete für die Klassen. Am Ende der Woche verschicken sie dann ein Erwartungsbild bzw. eine Lösungskontrolle, damit Eltern und Schüler ihre Fortschritte einordnen können. „Zusätzlich gibt es auch die klassischen Abgabetermine für eingescannte Lösungen, die korrigiert und zurückgesendet werden“, so Robert Steinäcker weiter.

Für die Lehrkräfte ist dies eine starke Mehrbelastung. Wenn beispielsweise in einer Klasse 25 Schüler Fragen zum Stoff hatten, konnten sie diese während der Stunde am Mittwochvormittag stellen. Nun fragt jede Schülerin einzeln zu einem selbst festgelegten Zeitpunkt der Woche.

Chancengleichheit im Homeschooling

Die Voraussetzungen für die Aufgabenerfüllung unterscheiden sich in den Familien mitunter enorm. Besonders im ländlichen Raum spürt man den mangelhaften Breitbandausbau und auch nicht jede Familie besitzt einen Drucker und / oder Scanner. So wird für einige Schüler bereits die Organisation ihrer Aufgaben zur Hürde. „Unser Schulbüro ist für solche Fälle immer besetzt, damit wir die Abgabe der Aufgaben sowie die Ausgabe neuer Aufgaben ermöglichen können“, sagt Robert Steinäcker.

„Wir müssen dann sowieso schauen, auf welchem Stand die Schülerinnen sind. Manche Eltern strukturieren die Tagesabläufe ihrer Kinder sehr klar und sind da sehr hinterher. Aber in anderen Familien schaut vielleicht niemand drauf oder kann berufsbedingt nicht stündlich kontrollieren, was das Kind den Tag über schafft“, so der Schulleiter weiter. Ein gemeinsamer Fortschritt scheint unter diesen Umständen nicht realisierbar. Dazu kämen noch typischerweise die Eltern, die für ihre Kinder die Hausaufgaben teilweise oder ganz erledigen. „Das bekommen wir natürlich erst mit, wenn der Schüler wieder direkt vor uns sitzt“, ergänzt er.

Abschlussprüfungen und Präsenzunterricht

Für ihre Abschlussklassen sehen Robert Steinäcker und Andreas Schütte weniger Probleme. „Den Stoff haben die Abiturienten absolviert, da geht es nur noch um Übung und Wiederholung. Für die anderen Klassen ist die Herausforderung größer, den Stoff nachzuholen“, sagt Andreas Schütte.

Auch deshalb sei der Stufenplan des Thüringer Bildungsministeriums zur Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts ein ambitionierter, aber wichtiger Schritt. Und die Schulen arbeiten mit Hochdruck an den Vorbereitungen zur Wiederöffnung – Tische rücken, rote Wegemarkierungen und Pfeile auf den Fluren und Toiletten sind da nur die Spitze des Eisberges.

Kleine Lerngruppen, geteilte Klassen, Risikogruppen: Wie soll eine Schulstunde nach Wiederöffnung aussehen?

Schwieriger ist die Frage des tatsächlichen Unterrichtsablaufes: Welche Lehrer stehen überhaupt zur Verfügung und welche gehören zur Risikogruppe? Wie kann Schülerinnen aus der Risikogruppe die Teilhabe am Unterricht ermöglicht werden? Und wie könnte eine Liveschalte eines solchen Schülers umgesetzt werden? Denn auch hierfür braucht es Technik und stabiles Internet.

Ebenfalls die kleineren Lerngruppen von zehn Schülern werfen Fragen auf. „Wenn ich eine Klasse quasi in zwei Hälften teile, brauche ich die Lehrkraft ja zweimal. Da werden aus 25 Unterrichtsstunden pro Woche plötzlich 50. Da ist noch keine Stunde vorbereitet und keine Arbeit korrigiert“, sagt Andreas Schütte.

In beiden Schulen ist man jetzt gespannt darauf, wie die Schülerinnen sich verhalten werden. „Wir können hier vorbereiten und Wegemarkierungen kleben, wie wir wollen. Am Ende muss jeder Schüler mithelfen, damit wir hier vor Ort wieder Bildungschancen angleichen können und trotzdem alle gesund bleiben“, so Robert Steinäcker abschließend.

Ein Video-Statement von Schulleiter Robert Steinäcker zur aktuellen Situation gibt es übrigens hier.

Zurück