"Wir brauchen stabile finanzielle Füße"

Ein Besuch in der AWO-Tochter IBS gGmbH

Christiane Götze strahlt: Ausführliche Antragstellungen und harte Arbeit haben sich wieder einmal ausgezahlt und vor wenigen Stunden ist ein Förderbescheid für eines ihrer Herzensprojekte ins IBS geflattert. Ein weiteres Projekt, das auch 2023 weitergeführt werden kann und vielen Menschen helfen wird, die aus Drittstaaten nach Thüringen kommen.

Seit 1998 gibt es in Erfurt das Institut für Berufsbildung und Sozialmanagement (IBS) gGmbH - seit 2008 konzentriert sich die 100 prozentige Tochter des AWO Landesverbandes Thüringen auf das Thema Qualifizierung von Geflüchteten und Migrant*innen. Rund 40 Kolleg*innen sind in 13 Projekten dafür zuständig. Sie qualifizieren Menschen für den Start in einen Gesundheitsberuf, bereiten sie auf Ausbildungen und Schulabschlüsse vor, führen Gruppenseminare und Einzelberatungen durch. "Im Grunde bilden wir die ganze Integrationskette ab", so die IBS-Prokuristin Christiane Götze. "Von kurz nach dem Ankommen bis zur Integration in den Arbeitsmarkt."

Und es gibt viele gute Beispiele, wie das den IBS-Mitstreiter*innen gelingt, wie der afghanische Maler Farhad, der nun in der Pflege arbeitet. Oder die Menschen aus aller Welt, die ihre interkulturellen Kenntnisse nun für andere Neuankömmlinge als Sprach- und Integrationsmittler*innen einsetzen. 

Exkurs - Wege in die Pflege: Hier geht es zu Farhads Erfolgsgeschichte

Doch immer wieder stehen Christiane Götze und ihr Team vor Herausforderungen. Die Projekte werden aus ganz verschiedenen Töpfen finanziert, jedes muss immer wieder von Neuem beantragt werden. Wenn ein Landes- oder Bundeshaushalt spät beschlossen wird, hat das oft ganz konkrete - negative - Auswirkungen auf das IBS und seine zu Beratenden. "Diese Finanzierung gehört auf stabilere Füße", weiß auch AWO-Landesgeschäftsführerin Katja Glybowskaja. Sie besuchte das IBS im Thüringenhaus am Erfurter Juri-Gagarin-Ring im Dezember, um der Co-Vorsitzenden der Thüringer Linken Ulrike Grosse-Röthig und Funke Medien-Journalistin Dr. Sybille Göbel die hervorragende Arbeit des IBS vorzustellen.

Wie es mit der Projektfinanzierung laufen kann, zeigte jüngst das Beispiel der Thüringer Anerkennungsberatung. Vier Stellen gibt es in Thüringen, an denen Menschen aus Drittstaaten Unterstützung dabei erhalten, dass ihre Schulabschlüsse und Berufsqualifizierungen aus der Heimat in Deutschland anerkannt werden - nur eine davon sollte ab 2023 weiterfinanziert werden. Dabei ist der Bedarf gleichbleibend groß. Der Aufschrei aus der Thüringer Politik gegenüber dem Bund war es ebenfalls. Mittlerweile dürfen Christiane Götze und die IBS-Kolleg*innen zuversichtlich sein, dass es an mindestens zwei der vier Beratungsstellen auch im kommenden Jahr weitergeht.

Exkurs - 26 neue SprInt: Erst 2021 wurden neue Sprach- und Integrationsmittler*innen zertifiziert 

Das tut auch Not: Thüringen hat ein Fachkräfteproblem – und betrachten wir die demografischen Prognosen des Landesamtes für Statistik für die kommenden Jahrzehnte, dann wird sich dieses Problem zukünftig immer weiter verschärfen.

Neben der gezielten Ansprache und Ausbildung junger Menschen aus Thüringen ist es deshalb insbesondere für die sozialen Berufe unerlässlich, die Fachkräftesuche über die Grenzen Thüringens und Deutschlands hinaus zu denken. „Deswegen arbeitet die AWO Thüringen mit zertifizierten Agenturen zusammen, um eine ethisch vertretbare Anwerbung u.a. aus Albanien, Vietnam oder den Philippinen umzusetzen“, so Katja Glybowskaja. Viele Menschen, die aus Drittstaaten nach Deutschland kommen, sind hochmotiviert, sich in ihrer neuen Heimat beruflich zu engagieren. Viele von ihnen bringen hochwertige Bildungs- und Berufsabschlüsse mit, die hier zeitnah geprüft und anerkannt werden sollten.

Die Ausgangslage sieht also eigentlich vielversprechend aus: Deutschland ist ein Einwanderungsland geworden. 

„Dennoch gibt es immer noch große Hürden, ehe Migrant*innen und Arbeitgeber*innen oder Ausbildungsprogramme zusammenfinden“, weiß Christiane Götze. Die AWO Thüringen begrüßt daher die Initiativen der Bundesregierung zum Chancenaufenthalt sowie zur Erleichterung bei der Fachkräftezuwanderung.

Damit verbunden fordert die AWO eine Entbürokratisierung beim Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Bildungsangeboten:

  • Es muss einen Anspruch auf Beschäftigungserlaubnis geben.
  • Die Anerkennung von Berufsabschlüssen muss beschleunigt bzw. transparenter gestaltet werden. Anerkennungsstellen müssen entsprechend ausgestattet sein, um die Fälle zügig bearbeiten zu können. Besondere Integrationsleistungen sollten mit dauerhaftem Bleiberecht honoriert werden.
  • Es muss mehr Sprach- und Integrationskurse in erreichbarer Nähe sowie berufs- oder ausbildungsbegleitende Angebote geben.
  • Barrieren und Hindernisse beim Zugang zu Ausbildungsgeld und Bafög müssen abgeschafft werden, für Zweitausbildungen müssen diese Unterstützungen überhaupt erst ermöglicht werden. Für Menschen mit einer Duldung sollte eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Studiums geschaffen werden.
  • Zugewanderte Kinder und Jugendliche müssen zügiger zu Bildungsangeboten zugelassen werden. Vorduldungszeiten zur Erlangung eines Aufenthaltes für gut integrierte Kinder und Jugendliche sind inakzeptabel. Geduldeten Menschen in Ausbildung und gut integrierten Jugendlichen sollte eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis erteilt werden.
Zurück